DER PFAHL INS MARK DER IDEOLOGIE // Doris Lippitsch

Domenig war ein kompromissloser Geist und streitbarer Mensch, ein unbändiges Energiebündel, ein Grazer Superstar mit Charisma und Humor, ein Spleen de Graz ohne jede falsche Bescheidenheit, ein Grenzgänger und Enfant terrible, ein Klagenfurter Bua von der Mur mit Ferrari aus dem Stall Marko, ein In-Architektur- und Skulptur-Übersetzer (s)eines Lebensgefühls, der sich im Handball und Eishockeyspiel als KAC-Tormann ohne Gesichtsschutz auf den direkten Wettbewerb und Nahkampf einstellte, den er in der Architektur lebte: entschlossen, federführend, impulsiv und exzessiv. Kompromisslos. Angst beim Elfmeter war ihm fremd. Er wollte Flammenflügel bauen und hatte auf der Suche nach einer Vaterfigur stets Vorbilder. Haltlos in seinen leidenschaftlichen Höhenflügen, seinem Entfaltungswillen, unbändig in seinem Gestaltungsdrang, in seiner Wut, immer und immer wieder auf Grenzen, Borniertheit und Dummheit zu stoßen, war Domenig aber auch ein scheuer Mensch und die Domeniganische Republik sein Refugium, ein Reservoir für begeisterte Studenten an der TU Graz. Ausschweifung, Wildheit, Reibung, Enttäuschung, Abwehr, Provokation, Widerstand und Ablehnung schmierten das Getriebe, in dem der Architekt und Meister der Inszenierung mit dem wachen Blick, mit den ebenmäßigen Gesichtszügen, hohen Wangenknochen und dem dunklen, matten Teint seiner geliebten Mutter Gisela aufging und zur Höchstform auflief. Grenzen zu dehnen, Normen zu sprengen, Grenzüberschreitungen, physisch wie emotional, zu leben, war ihm eingeschrieben, er konnte und wollte es nicht anders. Ein quasi dämonisches Bedürfnis. Der“ Dämonig, einer, der Öffentlichkeit durchaus für sich zu nutzen wusste, wenn es sein sollte, unbeirrbar, beharrlich, besessen von bahnbrechenden Ideen, ein Meister schwebender Konstruktionen, ein Meister fulminanter Wortnebel, ein Meister des Widerstands, den keine noch so verunglimpfende Bauherrenbeschimpfung von einem Projekt abbringen konnte, koste es, was es wolle, ein Künstlerarchitekt, der sich seine Biografie eigenhändig schuf, nicht zuletzt mit Stonehenge modern, seinem Steinhaus in Steindorf am Ossiacher See. Dämonig, mit Kaffee und Zigaretten, Blitzableiter für Gedankenströme, war ein Kleinesser. Sein Leibgericht: Fritattensuppe und Eierspeise mit Butterbrot. Er war besessen vom Widerstand gegen jedweden Kleingeist, ja, er befand sich geradezu in einem erbitterten Kampf gegen jedes Mittelmaß und damit gegen den rechten Winkel und somit auch gegen die gesamte Symmetrie als eine zerbrechliche Geometrie, war weder Dekonstruktivist noch Brutalist, eher von allem was, ein‑, zu- oder gar unterordnen ließ er sich keinesfalls. Domenig war Ästhet, ein Formalist, ein emotionaler Plastiker, sensibel und empfindsam, der seine Striche zart, wie ein Domenig eben auch war, ausführte und die ihn zu einem Teil ausfüllten und ungebrochen auszeichnen, auch hoch musikalisch, ein Jazzliebhaber und ein ausgezeichneter Klavierspieler, der gerne improvisierte.

Seinen ersten Grand Prix holt er sich 1969 mit Architekt Eilfried Huth in Cannes. Huth lernt er beim Handball kennen. Die neue Wohnform Ragnitz, eine realutopische Idee und Mega-Struktur mit verdichtetem Wohnen wird zuvor in Graz abgelehnt und wenig später von einer hochkarätig besetzten Architektenjury mit dem Grand Prix d’Urbanisme et d’Architecture ausgezeichnet. Von Yona Friedmans Superstrukturen inspiriert, entwirft Domenig Wohneinheiten, die individuell in eine bestehende Tragkonstruktion eingeschoben werden können. Später begründet Huth Beteiligungsverfahren im geförderten Wohnbau. Zu dem Zeitpunkt ist ihr erstes Projekt, die Pädagogische Akademie der Diözese Graz-Seckau in Eggenberg bereits fertiggestellt. Die Formensprache des Ensembles folgt mit in Bretterschalung gegossenem Spritzbeton einer radikalen Reduktion und macht die ästhetische Qualität des Beton brut nach Schweizer Vorbild mit großem Einfühlungsvermögen subtil sichtbar. 

Graz Anfang der 1960er, da war der international mit großer Spannung erwartete NS-Prozess gegen Franz Murer, kurz Schlächter von Wilna“ genannt. Ein Geschworenengericht spricht Murer von der Anklage des 17-fachen Mordes frei. Tosender Applaus im Gerichtssaal, eine namenlose Demütigung für die Überlebenden, Jubel vor dem Straflandesgericht und Blumen für Murer, während entsetzte Medienaufschreie von Graz um die ganze Welt gehen. Erst 2018 wird der hochpolitische Fall Murer von Christian Frosch verfilmt und Murer – Anatomie eines Prozesses ein internationaler Erfolg. Graz in den 1960ern, da ist durchaus auch Aufbruchstimmung spürbar, mit dem Forum Stadtpark um Gründungsmitglieder wie Wolfgang Bauer und Alfred Kolleritsch, der den noch unbekannten Peter Handke mit Publikumsbeschimpfung zum Erfolg verhilft. Wolfgang Bauer wird 1968 schlagartig mit Magic Afternoon bekannt, allerdings nicht in Graz, wo das Skandalstück in österreichischer Umgangssprache wie von fast allen deutschsprachigen Bühnen abgelehnt wird. Die Grazer Jeunesse dorée, Birgit und Charly, verbringt einen heißen Sommernachmittag in einer Wohnung (Die Unordnung ist nicht genial, nicht angenehm, sie ist nervös). Schallplatten und leere Gin‑, Bier- und Weinflaschen überall am Boden verteilt, die Luft ist vom dichten Zigarettenrauch zum Schneiden. Gleichgültigkeit, rohes Miteinander, Alkohol, Sex und Porno bis zum Exzess. Dazwischen Vogelgezwitscher, Blitz und Donner, dann erste Übergriffe. Freund Joe taucht mit Hitler-Gruß und Drogen auf, berauscht versuchen sie, den Globus im Klo runterzuspülen (Die Welt ist bestellt mit viel Geld … Begrab’ ma die Welt), was ihnen nicht gelingen will. Dann wieder ein jäher Gewaltexzess, nach dem Joe regungslos am Boden liegen bleibt. Angst, Panik. Bauer, heute ein Klassiker der österreichischen Moderne und der“ Nestroy der Beat-Generation, bricht mit dem Stück das laute Schweigen der Nachkriegsgeneration. Reloaded, ist das Kultdrama eine Quarantäne-Tragödie unserer jüngsten Pandemie-Vergangenheit. Multinationale und Kapital. 

Neue Blickwinkel von Architektur helfen mir zu einer neuen Realität. In ihr fühle ich mich wertgeschätzt und eigne mir meine Dinge an. Es fühlt sich an wie ein Experiment, an dem ich gerne teilhabe“, hält Domenig in seinen Studienjahren an der TU Graz fest. Schon kurz danach ist er dort Gastprofessor und durchschreitet als Vokuhila-Halbstarker die Hallen der akademischen Altvorderen mit offenem Hemd, langer Halskette und mit am Nabel wippendem Kreuz hin zum Zeichensaal, der Domeniganischen Republik, einem Reservoir für begeisterte Menschen“, wie sich Architekt Volker Giencke gerne an diese Zeit erinnert. Domenig taucht wie ein Bademeister in den staubdurchlauchten, von Verwesungsgeruch“[1] infizierten Universitätssälen auf, immerhin zählt das Strandbad seiner Geburtsstadt Klagenfurt aus den 1920ern zu den größten Freibädern Europas. Aber nicht nur. Er verabscheut Uniformen, Uniformität, Konformität, Anpassung, Anbiederung, kurzum Durchschnitt, stellt Konventionen in Frage und auf den Kopf. Ob nun nach dem Vorbild des Schweizer Architekten Walter Hunziker ein Grundriss einfach auf den Boden gezeichnet oder bei US-Architekten wie Frank Lloyd Wright nach neuen Ideen gesucht wird, Domenig will ausdrucksstarke Architektur, rechte Winkel in hexagonale Tragsysteme weiterentwickeln, Einbauten in freien Linienführungen, Tragstrukturen expandieren, reduzieren, die sich verzerren lassen können“. Architektur als visuelles Erlebnis. Planen und Bauen für die Wirklichkeit verläuft parallel zum Traum in der Utopie, der Traum in der Wirklichkeit und die Wirklichkeit im Traum, ein beständiger Grenzgang. Vorbilder sind der österreichische Künstler Walter Pichler, der italienische Architekt Carlo Scarpa, Raimund Abraham, der Architekten mit neuen Ideen, einer neuen Wildheit aus den US versorgt. 

Die Planungsgruppe Domenig & Huth entwirft auch zwei Projekte, Schwimmhalle und Verwaltungszentrum mit Restaurant, für die Olympischen Spiele 1972, der ersten Großveranstaltung in Nachkriegsdeutschland. Die Anforderungen an Architektur, Design und Landschaftsarchitektur für den Olympiapark sind enorm. Die Olympischen Spiele gehen als Utopie der Moderne und mit dem blutigen Attentat der palästinensischen Terrorgruppe Schwarzer September auf die israelische Mannschaft mit Geiselnahme und letztlich 17 Toten in die Geschichte ein. Es ist jene Zeit, in der Domenigs Jaguar E‑Type (E8) auf der Autobahn explodiert, erinnert sich Architekt Giencke. Domenig kommt schwerstens identitäts- und kreativgeschädigt“ zurück nach Österreich. Die Deutschen haben die Ordnung und sucht der Österreicher nach einer Idee, schaut dir immer so ein deutscher George Orwell über den Kopf herein“, wird Domenig Jahre später bei einem Vortrag an der TU Darmstadt[2] über seine Münchner Zeit mit Huth sagen. 

Über Domenig zu schreiben bedeutet, den humorigen, euphorischen, energischen, wütenden Querdenker, den scheuen, sensiblen Künstler und mitunter enttäuschten, verzweifelten Menschen über Beweggründe, Erfahrungen, über Achsenüberlagerungen zu erfassen und damit in ein tief verzweigtes Tunnelsystem einzutauchen, das sich nicht linear in Zeit und Raum erschließen lässt.

Huth, in Java geboren, wird in der Napola (Nationalpolitische Lehranstalten im Dritten Reich) im Stift St. Paul im Lavanttal, kurzerhand in Spanheim umbenannt, sozialisiert. Napola, in denen Sport eine entscheidende Rolle spielt, unterstehen formal der SA und bilden nach britischem Vorbild wie Eton oder Harrow die künftige NS-Elite aus. Auch Domenigs Eltern sind Nationalsozialisten. Sein Vater Herbert Domenig, Staatsanwalt und Richter in Obervellach im Mölltal, ist NSDAP-Mitglied und Gauschulleiter. Schon Domenigs Großvater Otto, dessen Wohnung bei einem Bombenangriff im Februar 1944 schwer beschädigt wird, ist Landesgerichtsvizepräsident in Klagenfurt. Domenigs Vater will seinen Wehrdienst leisten, drei Ansuchen werden abgelehnt, er insistiert. Sein vierter Versuch wird von der Oberstaatsanwaltschaft Klagenfurt erhört und Domenig im Februar 1944 zum Obersten Kommissar an die Organisationszone Adriatisches Küstenland nach Triest befördert, der Abteilung IV, Justiz, voraussichtlich in Pola“[3] (Pula, Anm.) zugeteilt und schon kurz danach mit zwei weiteren Deutschen“ von Tito-Partisanen verschleppt und am Monte Maggiore (kroatisch Učka) verhört. Er schreibt spätnachts und unter großem Zeitdruck aus der Gefangenschaft: dr. paul messiner triest justizpalast. gefangen, gesund, nicht misshandelt. familie verstaendigen. gehe weiter in gefangenschaft. bitte sachen von mir heimschicken. dr. domenig 14. 3. 1944, 2.40. Auf der Rückseite ergänzt er: ich berichte freiwillig: wurde von einem uniformierten partisanentrupp mit schlichermeier gefangengenommen. wurden sehr gut behandelt und verpflegt. wir durften auch schreiben. wir hoffen am leben zu bleiben. dr. domenig“[4]. Im Verhör antwortet er wenige Tage später auf die Frage, ob er die Kriegsmethoden der Deutschen Wehrmacht gutheiße, dass man im Daseinskampf aller Zeiten immer alle Mittel“ verwende und dass sich auch die Deutschen aller Mittel bedienen, obwohl sie mit den Vorschriften des internationalen Rechtes nicht im Einklang stehen“. Die Partisanen stellen die Möglichkeit eines Austausches in den Raum, damit wir ihn, und zwar gegen unsere gefangenen Kameraden austauschen“. Domenig gibt eine ablehnende Antwort, die Deutschen seien vom deutschen Kommando und von der nationalsozialistischen Partei darauf aufmerksam gemacht worden, dass sie bis zum Letzten kämpfen und ehrlich sterben sollen, weil sie auch dann keine Gnade finden werden, wenn sie von den Partisanen gefangen werden“.[5]

Das Verhörprotokoll vom 17. 3. 1944 wird Ende April 1944 in einer Großaktion des Höheren SS- und Polizeiführers des Adriatischen Küstenlandes und Führungsstabs der Bandenbekämpfung“, Odilo Globočnik, in einem Partisanenlager am nördlichen Vorgelände des Monte Maggiore mit zahlreichen anderen Dokumenten in slowenischer Sprache und ohne Unterschriften aufgespürt, wie er Gauleiter Friedrich Rainer, Reichsstatthalter Kärntens und Oberster Kommissar der besetzten Gebiete“, in einem Geheimschreiben vom 5. Mai 1944 e.h.[6] mitteilt. Globočnik ist eine zentrale Figur im Dritten Reich. Slowenischer Nationalsozialist der ersten Stunde, bereitet er der in Österreich noch illegalen NS-Bewegung jenseits der Alpen den Weg und wird Gauleiter von Wien. Später leitet er die Aktion Reinhardt in Polen, der Zar von Polen, grausam, gierig, skrupellos, ehrgeizig, aktionistisch, ein Ideal-Nazi und banaler Böser, von seinem großen Förderer Heinrich Himmler kurz Globus genannt. Er und Rainer sind Holocaust-Massenmörder und eng befreundet. Als er das Partisanenlager am Monte Maggiore aufrollt, sind die Gefangenen, der Kaufmann Hugo Zach, der Offiziere immer wieder an Wochenenden bewirtete, der Württemberger Großgrundbesitzer Wilhelm Schlichermeier und Herbert Domenig bereits liquidiert“. Globočnik setzt den Zeitpunkt der Hinrichtung mit 13. d. M. fest, dem 13. 4. 1944. Ein Jahr später flüchten Globočnik und Rainer im Mai 1945 vor den britischen Alliierten nach Paternion in Oberkärnten, wo Globočnik sich nach dem ersten Verhör mit Zyankali das Leben nimmt und in einer Wiese verscharrt wird. Rainer sagt in den Nürnberger Prozessen als Zeuge gegen Arthur Seyß-Inquart, maßgeblich für den Anschluss Österreichs an das Dritte Reich und einer der 24 Hauptkriegsverbrecher, aus und wird nach Jugoslawien ausgeliefert, für seine Kriegsverbrechen in Ljubljana zum Tode verurteilt, wo er bis zu seiner Hinrichtung, vermutlich im November 1950, noch für den jugoslawischen Geheimdienst gegen Stalin gebraucht wird. 

Günther Domenig und sein Zwillingsbruder Herbert sind neun Jahre alt, als ihr Vater hingerichtet wird. Später wird er über seinen Vater, wenn überhaupt, stets zurückhaltend und knapp sprechen. Die zerbrechliche Geometrie hat auch mit meiner Geschichte zu tun, der nationalsozialistischen Erziehung meiner Eltern, ihre Worte fahl und leer geworden. Ich zerbreche meine eigene Geschichte, meine eigene Vergangenheit, die mich Jahrzehnte meiner kreativen Tätigkeit gekostet hat“, notiert Domenig in seinen frühen Aufzeichnungen. Und dann, viele Jahre, ja Jahrzehnte später, wird er 1998 den internationalen Wettbewerb für das Dokumentationszentrum am Reichsparteitagsgelände in Nürnberg gewinnen. Dort, wo Nationalsozialisten bis 1938 ihre Reichsparteitage abhalten und SA, SS und HJ aufmarschieren, flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Krupp-Stahl“. Der Ziegelsteinbau ist zementierte wie inszenierte NS-Propaganda, massiv und ewig, einschüchternd wie beeindruckend und Hitler Oberster Bauherr“, der Pläne bis ins kleinste Detail studiert. Speers Architektur wird in den Dienst von Macht und Ideologie gestellt und Berlin bis 1950 als Welthauptstadt Germania angestrebt. Ab Kriegsbeginn werden die Bauarbeiten eingestellt, die Planungen laufen bis Kriegsende weiter. Der Torso der Kongresshalle ist bis heute das größte Relikt nationalsozialistischer Architektur. In der langen Entwurfsphase von zwei Jahren für das Dokumentationszentrum wird Domenig zu seinem Projektleiter, Architekt Gerhard Wallner, sagen, dass sie einen Pfahl durch den Speer“ treiben. Wallner übernimmt die gesamte Planung: Die Idee, das massive Reichsparteitagsgelände mit einer ansteigenden Diagonale zu durchstoßen, hat sich schließlich für einen durchgängigen Ausstellungsbereich mit Kino und Studienforum durchgesetzt. Die Schnittflächen der Durchdringungen sind an den Spannungen bis zu viereinhalb Meter tief.“ Einfache Materialien wie Beton, Stahl und Glas werden im Gegensatz zum massiven Gebäudekomplex gewählt. 

Zu dem Zeitpunkt ist Domenig längst anerkannt und weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannt. In den späten 1970ern macht er mit der Zentralsparkasse, kurz Z genannt, schlagartig von sich reden. Die Bankfiliale in Wien-Favoriten ist ein Experiment und markiert den großen Durchbruch. Domenig übersiedelt mit seinem damals einzigen Mitarbeiter Volker Giencke vorübergehend nach Wien, während die Wiener Architekturszene in der gesamten Planungsphase keinerlei Notiz von ihnen nimmt. Nach der Arbeit sitzen sie oft stundenlang bei Bier, besprechen und diskutieren die Z, Entwürfe für die Mehrzweckhalle der Schulschwestern in Graz-Eggenberg, dieses und jenes, die Abende enden oft im Hietzinger Café Dommayer. Domenig will eine Fassade, die den ganzen Tag mit ihrer Plastizität, Krümmung, Rundung und Spiegelung im Glas irgendwie lebt“[7]. Die erste dreidimensionale Fassade in der gebauten Landschaft, das surreale Verschneiden von Beton, konstruktivem Stahl und nichtrostendem Blech in Zylinder- und Kegelformen, die wie zwischen die angrenzenden Gemeindebauten hineingepresst über dem Eingang hervorzuquellen und auszubrechen scheint, sorgt für unheimliches Aufsehen. Wolf dPrix erinnert sich lebhaft daran, mit Wolfgang Bauer findet in etwa zeitgleich seine Lecture Architektur muss brennen statt. Am Vortag wird John Lennon von dem Ex-Hippie und christlichen Fundamentalisten Mark Chapman auf offener Straße in New York City erschossen. Eine lebende Ikone shot dead. Imagine, Domenigs Fassade ist auch für manch Wiener Herz ein harter Schlag. Wiener, weltweit für ihr beherzt unfreundliches Raunzen und ihr grantelndes Gemüt bekannt, plärren sich ihren Unmut im Off von der Seele, während ein leicht irritierter Domenig vor laufender Kamera interviewt wird. Er definiert mit dem Haus mit dem Knick, wie es bald bezeichnend heißt, eine neue Architektursprache, die ihn unsterblich“ mache, wie er kurz später in einem Ö1-Morgenjournal klarstellt. Das Stahlbetongebäude legt alle Konstruktionsteile offen, das Innenleben ist mit strenger Funktionalität und organischer Bildhaftigkeit ausgeformt („Innereien sollen wie im Körper spürbar werden“[8]), bis heute kontrovers diskutiert. Etwa die Hand: Das skulpturale Zitat ist Domenigs eigene Hand, situationsbedingte Body language, die Hand des Architekten, stellvertretend für den Bauherrn, die Bank, und seine Organe“, die dazwischen fuchtelnde“ Bankpolizei.. Mit der Auflage, keine anderen Körperteile darzustellen („Es gibt ja so viele!“). Domenig bezeichnete die Z als sein Schlüsselwerk, er verbringt über 2.000 Stunden handwerkend auf seiner Baustelle. Zu dem Zeitpunkt hat er sich bereits von Huth und seiner Partizipation im Wohnbau, die einen Architekten nichts als entleibe“, entfernt. Domenig lebt seinen Traum in der Wirklichkeit, die Wirklichkeit im Traum, alles, was ich im Grenzgängerischen verwirklichen kann oder nicht“[9]. Domenig und Giencke sind nun mit allen befreundet, mit dem erfolgsorientierten Hans Hollein, der neue Ideen aus den USA mitbringt, mit Wolf dPrix / Coop Himmelb(l)au, Helmut Richter, soeben zurück aus Paris, mit dem langjährigen MAK-Leiter und Designer Peter Noever, mit Kritikern wie Günther Feuerstein, Friedrich Achleitner und der Ö1-Kulturreporterin Krista Fleischmann, die, heute kaum noch vorstellbar, wiewohl nicht minder originell, die Wiener Kaffeehäuser und Beisl durchtelefonierte, um Thomas Bernhard ausfindig zu machen, wenn er seine Tante in Wien besuchte. Nach einem mondänen Abendessen bei Fleischmann will Domenig mit Giencke noch unbedingt auf eine Blunzn zu einem Würstelstand. Diese spontane Abwehrhaltung und Verweigerung ist Domenig eingeschrieben.

In den 1980ern konzentriert sich Domenig auf seine Professur an der TU Graz und drei Jahre lang darauf, den Lehrstuhl für Gebäudelehre, Wohnbau und Entwerfen aufzubauen. 1983 gewinnt er den Erweiterungsbau der Fakultät, es ist ein Wettbewerb unter Professoren, den er gewinnen muss“[10]. Für Durchgängigkeit zum gründerzeitlichen Bestand entwirft er Achsenüberlagerungen, drei sich kreuzende Elemente, die Bewegung andeuten, und studiert Schweißvorgänge für neue Methoden in der Architektur. Er gestaltet eine Reihe kleiner Boutiquen von Klagenfurt bis Wien um, eben solche Dinge wieder der alten Tektonik rückzuführen, im Spannungsverhältnis zwischen Vorhandenem und Neuem; nur eine Zeichnung zu machen, also einen Grundriss, und dann direkt in die Plastizität der Form hineinzugehen“[11]. Zahlreiche Projekte für öffentliche und private Bauherren folgen. 

Wie eine Raumkapsel steht Domenigs Steinhaus in Steindorf am Ossiacher See. Es ist seine eigene Geschichte, meine Privatgeschichte und da ist man dann viel empfindlicher als sonst“. Dort, im Süden Österreichs, wo die Wiesen saftig grün, die Kühe gesund, die Berge schroff sind und Italien wie Slowenien nicht weit, wird der Trachtenanzug seit Generationen zum Kirchgang und Wiesenfest ausgeführt. Braun wie die Heimatliebe. Braun für Heimatverbundenheit mit Heimatarchitekturen für Touristen, Hänsel und Gretel, der Loden trotzt rauem und auch rauestem Klima. Warum ausgerechnet braun? Das soll uns hier nicht weiter beschäftigen, denn es gibt keine Farbe, es gibt nur die Wirklichkeit, die Domenig in Kärnten als kunstfeindlich behindernd, ja, als Auschwitz jeder kulturellen Hoffnung“[12] bezeichnete. Dort bin ich also geboren. Auch noch.“ Ausgeschlossen, Domenig je in dieser Kärntner Tracht erblickt zu haben und auch lange nicht das Steinhaus in Touristenprospekten. Über Jahre schlichtweg ausradiert, wegretuschiert. Da haben sie mich regelrecht weggewaldet, eigentlich haben sie mich regelwidrig weggewaldet. Ich habe mich damals sehr aufgeregt … Wie ist das eigentlich, wenn eine Kunst unbequem ist, dann wischt man sie vom Tisch. Da kann man dann ein bissl nachdenken.“[13] Auffahrunfälle entlang der angrenzenden Bundesstraße häuften sich dann allerdings, wiewohl Domenig nichts als eine charakteristische Architektur für eine charakteristische Landschaft“ schaffen wollte, die mit einer neuen Idee verbunden werden sollte. Ein Architekturgebilde, eine Betonskulptur aus Steinformationen mit einem Schnitt und einem sich andeutenden Würfel, genau genommen sind es architektonische Verschneidungen und Zerbrechungen. Es gibt Unmengen an Detailzeichnungen für Statik und Technik. Die Grundidee war da, mit den Handzeichnungen konnte die Betonskulptur dann geschalt werden“, erzählt Architekt Wallner über die Anfänge in den späten 1980ern, der damals als Student ins Büro Domenig gekommen und stolz darauf war, so maßgeblich am Steinhaus und schon zuvor für die Kärntner Landesausstellung in Hüttenberg beizutragen. Das Steinhaus war Domenigs Refugium und erzählt seine Familiengeschichte auf dem Grundstück seiner Großmutter, der Brauereitochter Jakobine aus Feldkirchen. Stonehenge modern ist auch Domenigs persönliche Geschichte, ein spiritueller Ort und ein visuelles Erlebnis, manchen bedeutungsschwangere Aufladung der Architektur, anderen Architektur mit Kultcharakter, heute jedenfalls eine (post)moderne Ikone.

Erst wurde ein von einer Schlucht durchschnittener Hügel aufgeschüttet, aus dem die Felsen brechen, um die Sicht auf den benachbarten Campingplatz mit den Wohnwägen, den Plastikbombern“ zu nehmen. Domenig rechnete vor: 10.000 Plastikbomber am ganzen See, sind 40.000 Menschen, sind 80.000 Semmeln. Alles andere kaufen sie im Supermarkt. Plastik, Pommes frites, die ganze Infrastruktur ist zerbrochen. Öffentliches Bad, Plastikbomber und die Surfer.“[14] Bodenproben ergaben lehmige Erde und Grundwasser, das sich in drei Metern Tiefe bewegt. Das Steinhaus wurde mit dem Entwässerungssystem auf 80 Pfählen zwei Geschoße tief in diese Erde gebaut. Gebaut werden durfte nicht in der Hauptsaison und nur eingeschränkt in der Vorsaison, um Touristen nicht zu stören. Es gibt die ernsthaft am Gebäude Interessierten und es gibt die billig neugierigen, dummen Touristen, Proleten, Kulturproleten, die mich ständig angreifen, mich in meiner Privatheit belästigen […] Es ist nicht meine Aufgabe, das Projekt als Architektenkünstler zu erklären.“ Materialübergänge folgten in jahrzehntelangen Zu- und Umbauten zu mehreren Objekten, von holzverschalten Konsolen hin zum Stein und zu Stahlglaskonstruktionen mit Fenstern wie Lanzen, einem Grundwasserzylinder mit dem Wasser aus der Erde, einer Stufenspirale und einer, ja, schwierig zu erklärenden Geschichte, einem Regenfänger mit einer Peitsche. Braucht man eigentlich nicht erklären, ist kürzer!“[15] Das nach außen hin sichtbare Entwässerungsobjekt ist in Wirklichkeit die Startrampe für seinen Vogel im Haus, seinen Zerberus, der ihm alle Leute vom Leibe halten sollte, die er nicht ausstehen konnte. Und da gab es ziemlich viele davon. Domenig sagte es so: Die Wurzel des Ergebnisses liegt also in der Zeichnung drinnen.“ Die Startrampe wurde von einem Künstler- und Architektenprojekt in einem Grazer Stollen, einem schrecklichen, einem grauslichen Trümmerhaufen aus Beton mit verbogenen Rohren“ inspiriert, das er sich ausgesucht hatte (das George Orwell-Thema, 1984), der quasi Startexplosion für den Vogel Nix-Nuz-Nix und für die Z in Graz bestimmt war, wiewohl nicht bestimmbar“, weil der sieben Meter lange und eineinhalb Meter breite Vogel noch fliege. Die Raumskulptur mit ihren Materialverformungen ist Domenig ans Herz gewachsen, übersiedelte schließlich zum Steinhaus und begeht ihren Geburtstag wie Domenig am 6. Juli. Die Dimension der Zeit ist wichtig, wichtiger, als dass etwas schnell fertig wird, ist es, genau zu arbeiten, wie halt ein Bildhauer eine Plastik fertig schleift“. Domenigs Stonehenge modern bewegt sich ständig, im wahrsten Sinne des Wortes. Am Steinhaus befindet sich auch die Grabskulptur seines Bruders, die Metallskulptur einer schräg geknickten Stiege. Längst vergangene Zeiten und Kulturen werden erinnert: Viel ist durch den Nationalsozialismus verloren gegangen, Kulturen wurden ausgelöscht, prächtige Städte aus vergangener Zeit waren nur noch Ruinenlandschaften […] eine Topografie des Terrors, die den Kontinent, den gesamten Globus einzunehmen versuchte und die Auswirkungen auch noch lange nach mir auf die Menschen wirken werden.“ 

Während die Verleihung des Goldenen Löwen für den besten Film zugleich Höhepunkt und Ende des Filmfestivals in Venedig ist, steht der Leone d’Oro bei der Architekturbiennale schon vor der Eröffnung neben den ausgezeichneten Projekten. So auch Mitte September 2004 vor der Eröffnung der 9. Architekturbiennale in den Giardini della Biennale: Ich hab’ ihn, Sie werden’s nicht glauben, ich hab’ ihn! Und Sie sind die Erste, die’s erfährt“, erinnert sich seine Assistentin Sabine Pink an Domenigs euphorischen Anruf aus Venedig. Domenig konnte sich nicht nur freuen wie ein kleines Kind, er ist bis dato der einzige Österreicher, dem der Goldene Löwe verliehen wurde, für seine Transformationen am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Wir vermissen Domenig!




Verweise:

[1] Vortrag Günther Domenig, TU Darmstadt, 7.2.1996

[2] ebd.

[3] AT-OeStA/AdR Justiz OLG Graz PA Domenig Herbert (*20. 03. 1905), Brief an Generalstaatsanwaltschaft Graz vom 11.2.1944, I‑D-2/108

[4] AT-OeStA/AdR Justiz OLG Graz PA Domenig Herbert (*20. 03. 1905) [Oberstaatsanwaltschaft Klagenfurt, 21. März 1944, I‑D-2/109

[5] AT-OeStA/AdR Justiz OLG Graz PA Domenig Herbert (*20.03.1905) [Tgb. Nr. 685/44 g]

[6] ebd.

[7] Vortrag Domenig, TU-Darmstadt, 1996

[8] ebd.

[9] ebd.

[10] ebd.

[11] ebd.

[12] ebd.

[13] ebd.

[14] ebd.

[15] ebd.

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