ÜBER BIOGRAFIE UND ARCHITEKTUR // Simone Egger

Voraussetzungen

Wie lässt sich ein Leben beschreiben? Was ist über einen Menschen zu sagen? Was charakterisiert eine Biografie? Eine Lebensgeschichte hängt von verschiedenen Faktoren ab, geht von Chancen, aber auch von Widerständen aus, die einen Werdegang nahelegen oder innerhalb einer Gesellschaft zum Ausschluss führen. Dabei ist das jeweilige Spektrum an Möglichkeiten mit dem Habitus eines Menschen verbunden und hängt ganz generell mit Dispositionen zusammen. Der Grad der Bildung und der soziale Status der Familie bedingen im Wechsel mit anderen Konstellationen, wohin ein Weg führen kann.[1] Das Biografische ist stets prozesshaft zu verstehen und hat dabei immer auch mit Merkmalen zu tun, die einen Menschen ausmachen: persönliche Vorlieben, Talente, individuelle Interessen und eigenständige Entscheidungen, Neigungen und mitunter auch mit Spleens. Beziehungen zu anderen Menschen wirken nachhaltig auf ein Leben. 

Zugleich beeinflussen kulturelle Prägungen oder auch kollektive Erfahrungen in Resonanz auf politische Ereignisse wie globale Entwicklungen den Ablauf einer Biografie im Lokalen. Für die Orientierung können verschiedene Eindrücke eine Rolle spielen, manchmal genügen wenige Impulse, ist es die Interpretation des Zeitgeschehens, die eine Familie fundamental betrifft. Einige Momente werden manifester als andere, mitunter ergibt sich auch eine Verbindung, die den Werdegang in beruflicher Hinsicht dominiert. Insbesondere wie sich Privatleben und Profession zueinander verhalten, ob die Bereiche verknüpft werden oder getrennt existieren, ist für das Biografische von zentraler Relevanz. Alltäglich bewegen wir uns in gebauten Räumen, leben, wohnen, arbeiten in Häusern und nutzen Gebäude, die uns beeinflussen, unser Handeln prägen, nachdenken und aufatmen lassen oder auch deprimieren. Die Umgebungsqualitäten wirken sich ihrerseits auf das Leben aus.

Rückblickend wird eine Autobiografie wahrscheinlich andere Aspekte in der Darstellung hervorheben als eine Biografie, die die Lebenswelt eines anderen, mehr oder weniger vertrauten Menschen von außen in den Blick nimmt. Dabei ist Biografie […] eine soziale Konstruktion, die in Wechselwirkung zwischen den Handlungen und Perspektiven sozialer Individuen entsteht. Das bedeutet, dass auch Selbst- und Fremdperspektive miteinander verschränkt sind“[2]. Die Bildungswissenschaftlerin Bettina Dausien unterstreicht das Moment der Sinnkonstruktion und überhaupt des Konstruierens, das dem biografischen Erzählen, aber auch dem Schreiben einer Biografie inhärent ist.[3] Vor welchem Hintergrund, mit welchem Wissen wird eine Biografie verfasst? 

Was kann als Ausdruck eines Lebens verstanden werden? Materielles wie Immaterielles, das hervorgebracht worden ist, und/​oder die Familie, die über das eigene Leben hinaus besteht und Zeugnis von einem Menschen abgeben kann? Auch ein Werkverzeichnis ist ein Curriculum Vitae. Für Günther Domenig war die Architektur, das Bauen und Entwerfen ein Medium des Biografischen. Das Gestalten eines strukturalistischen, brutalistischen oder auch dekonstruktivistischen Baukörpers hat in seiner Sprache übersetzt, was den Künstlerarchitekten persönlich bewegt und professionell beschäftigt hat. Wie sich diese Bereiche in der jeweiligen Phase eines Lebens zueinander verhalten, hängt mit den Facetten einer Identität, dem situativen Befinden und auch mit den Umständen zusammen, in denen – in diesem Fall – die Arbeiten von Domenig entstanden sind. 

Seinem Aufwachsen in den 1930er und 40er Jahren geschuldet, haben patriarchale Vorstellungen von Männlichkeit in sein Auftreten hineingewirkt.. Sein Umgang mit den eigenen Empfindungen ist unter den Bedingungen des 20. Jahrhunderts, des Nationalsozialismus und den Folgen des Krieges zu sehen. Die Psychoanalytiker Margarete und Alexander Mitscherlich sprechen im Zusammenhang mit der Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und unter ihren Vertreter:innen nach 1945 in ihrer populären Studie von der Unfähigkeit zu trauern“[4].


Verletzungen


Der Baum ist ein ikonisches Bild, das oftmals aufgerufen wird, wenn es um die Sichtbarmachung von familiären Strukturen geht. Das Motiv steht für die zeitliche Dimension von Familie, verbindet Generationen über das Gewachsene, von den Wurzeln bis hin zur Krone. Das skizzierte Ideal ist dabei nicht bruchlos zu verstehen: Krankheit und Tod lassen immer wieder Zweige absterben. Nicht zur Sprache kommen in diesem wiederum linearen Schema jedoch inhaltliche Differenzen oder Antipathien. Emotionen wie Liebe oder enge Verbundenheit, die für das Verständnis einer Lebenswelt von wesentlicher Bedeutung sind, spielen in der Darstellung des Baumes – ebenso wie die Effekte eines auf die Natur oder das Soziale bezogenen Klimawandels – keine Rolle. Dabei schreiben sich in die Ringe des Baumes seismografisch Spuren des Erlebten über Jahrzehnte und Jahrhunderte ein.

Günther Domenig ist 1934 in Klagenfurt geboren und aufgewachsen. Der Architekt war mit Kärnten verbunden und hat sich doch immer auch an der Landschaft und den Menschen gerieben. Für Domenig war insbesondere die ideologische Überzeugung seiner Eltern als Nationalsozialisten ein Thema, das ihn Zeit seines Lebens beschäftigt hat. Mit den Mitteln des Planens und Bauens hat er sich mit der politischen Gesinnung von Vater und Mutter und dem Nationalsozialismus im Allgemeinen auseinandergesetzt. Mit Blick auf die Entwicklung der Chicago School of Sociology“ hebt der Kulturwissenschaftler Rolf Lindner die Bedeutung der sogenannten life history“-Methode hervor, die der Soziologe Edward Burgess bereits in den 1920er Jahren entwickelt hat. Großen Wert auf die Beschäftigung mit Biografien hat auch dessen Kollege Robert Ezra Park, der Vordenker der Chicago School“ und Begründer der unabhängigen Sozialforschung in den USA gelegt. Für … [ihn]“, reflektiert Lindner, sind biographische Materialien […] nicht nur von wissenschaftlichem Wert, sondern dienen darüber hinaus unmittelbar dem Ziel, auf das die Soziologie von Park letzten Endes ausgerichtet ist: die Fähigkeit zu entwickeln, sich in andere hineinzuversetzen, um sie besser kennen und verstehen zu lernen, um auf diese Weise zu einer Verständigung untereinander, zu einem gemeinsamen universe of discourse zu gelangen.“[5]

Das Steinhaus am Ossiacher See, das in mehr als fünfundzwanzig Jahren zwischen 1982 und 2008 entstanden ist, steht für das langwierige Abarbeiten an der eigenen Familiengeschichte. Der skulpturale Bau lässt sich als autobiografische Figuration lesen, die sich auf ein ganz konkretes Beziehungsgeflecht bezieht. In den seltensten Fällen werden Bindungen, werden Brüche auf derart eindrückliche Weise evident. Besucher:innen können die Verwerfungen spüren, die in die Konzeption des Gebäudes hineingewirkt haben und davon ausgehend noch in der Gegenwart – auch nach dem Tod des Architekten – leiblich zu spüren sind. Der dekonstruktivistische Bau faltet sich zum Wasser hin auf, scheint sich zu öffnen und ist doch kein einladendes Forum, keine Behausung. Das Steinhaus spendet keine Wärme und keinen Schatten, stattdessen lässt es atmosphärisch das Unbehagen erahnen, das die eigene Familie im Architekten hervorgerufen hat. In seiner Unwirtlichkeit hat der biografisch bedeutende Ort auch zu neuen Verletzungen geführt. Verletzlich und – sich selbst und andere – verletzend ist eine Charakterisierung, die in der Beschreibung des Architekten wiederholt zur Sprache kommt. Gleichzeitig beeindruckt die Kunstfertigkeit des Architekten, einen solch komplexen Entwurf in enger Zusammenarbeit mit seinem Team tatsächlich Gestalt annehmen zu lassen. 


Vernetzungen


Wenngleich Erfahrungen in der Kindheit einen Menschen ein Leben lang begleiten, hat Günther Domenig darüber hinaus sowohl beruflich als auch privat Positionen eingenommen, die ihn aus Kärnten weggeführt haben. Die Lebenswelt, in ihrer Totalität als Natur- und Sozialwelt verstanden“, schreibt der Soziologe Thomas Luckmann anknüpfend an Alfred Schütz, ist sowohl der Schauplatz als auch das Zielgebiet meines und unseres wechselseitigen Handelns. Um unsere Ziele zu verwirklichen, müssen wir ihre Gegebenheiten bewältigen und sie verändern.“[6] Unter dem Begriff der Lebenswelt versteht Luckmann eine Wirklichkeit, die wir durch unsere Handlungen modifizieren und die andererseits unsere Handlungen modifiziert“[7]. Zum Studium ging Günther Domenig an die TH Graz, er hat als Architekt mit wechselnden Partnern – mit Eilfried Huth, Hermann Eisenköck und Herfried Peyker oder Gerhard Wallner – zusammengearbeitet und lange Zeit selbst als Hochschullehrer unterrichtet. Domenig war Professor am Institut für Gebäudelehre, Wohnbau und Entwerfen und hat sich über Jahre mit der Ausbildung und Betreuung von Studierenden auseinandergesetzt. In Graz ist er am Ende auch gestorben.[8]

Der Versuch, ein Leben als eine einmalige und sich selbst genügende Abfolge von Ereignissen zu verstehen, deren einziger Zusammenhang in der Verbindung mit einem Subjekt‘ besteht, dessen Konstanz nur die eines Eigennamens sein dürfte, ist ungefähr so absurd wie der Versuch, eine Fahrt mit der U‑Bahn zu erklären, ohne die Struktur des Netzes zu berücksichtigen, das heißt, die Matrix der objektiven Relationen zwischen den Stationen.“[9] Wie der Soziologe Pierre Bourdieu argumentiert, kann es bei dem Vorhaben, einen Lebensweg nachzuzeichnen, nicht zuallererst darum gehen, ein stringentes Curriculum zu rekonstruieren. Bourdieu kritisiert, dass diese Idee dem Biografischen trotzdem allzu oft anhaftet. Der Verlauf eines Lebens aber ist zunächst einmal nicht linear und auch nicht kohärent. Der Sozialwissenschaftler und Anthropologe spricht angesichts dieser häufig angenommenen Verknüpfung von einer biografischen Illusion. In der Auseinandersetzung mit einer Lebensgeschichte gilt es aus seiner Sicht nicht, zuerst nach kontinuierlichen Linien zu suchen, sondern vielmehr nach Platzwechseln und sich verschiebenden Platzierungen im sozialen Raum zu fragen.[10]

Es sind immer wieder veränderte Standpunkte, aus denen sich eine Biografie in Gestalt einer Kette von ineinandergreifenden sozialen Oberflächen zusammensetzt. Als soziale Oberfläche bezeichnet Bourdieu die Gesamtheit der Positionen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt gleichzeitig von einer sozial feststehenden biologischen Individualität eingenommen werden […]“[11]. Ein soziales Altern lässt sich in diesem Sinn nur begreifen, wenn auch die Abfolge der Zustände des Feldes“[12] miteinbezogen wird, in der diese Entwicklung relational einzuordnen ist. Nach Bourdieu lässt sich ein Verlauf erst dann zusammensetzen, wenn man die Gesamtheit der objektiven Relationen, die den betreffenden Akteur […] mit der Gesamtheit der im selben Feld tätigen und mit demselben Raum des Möglichen konfrontierten anderen Akteuren verbindet“[13].


Setzungen


Mit den Worten des Philosophen Gernot Böhme lässt sich das Werk einer Architektin/​eines Architekten – Domenigs Werk – als ästhetische Arbeit bezeichnen.[14] Das Bauwerk als gestalteter Raum besitzt eine Aura, die sich über Atmosphären vom Objekt zum Subjekt vermitteln kann – vorausgesetzt, der/​die Empfänger:in ist für eine solche ästhetische Erfahrung zugänglich, wie die Historikerin Gertrud Lehnert kommentiert.[15] Das ästhetische Machen ist mit dem vielfach impliziten Wissen verbunden, welche Mittel bestimmte Atmosphären erzeugen können. Böhme geht in seinen Ausführungen exemplarisch von der Kunst des Gartengestaltens aus, die einerseits in den Blick nimmt, was eine Gegend prägt und welche Elemente – Holz, Wasser, Stein – eine Landschaft auszeichnen, andererseits aber auch wahrnehmen kann, was im Zusammenspiel mit den Gegebenheiten ästhetisch zu setzen ist, um Atmosphären zu erzeugen oder sie zu zitieren. Das damit verbundene, zumeist nicht explizit formulierte Wissen ist wiederum mit Macht verknüpft, einer Macht, die sich weder physischer Gewalt noch befehlender Rede“[16] bedient. Sie greift bei der Befindlichkeit des Menschen an, sie wirkt aufs Gemüt, sie manipuliert die Stimmung, sie evoziert Emotionen. Diese Macht tritt nicht als solche auf, sie greift an beim Unbewußten. Obgleich sie im Bereich des Sinnlichen operiert, ist sie doch unsichtbarer und schwerer faßbar als jede andere Gewalt.“[17] Mit diesen Eigenschaften ist die ästhetische Arbeit auch für ökonomische, religiöse oder politische Kontexte von Interesse, angesichts ihres Potenzials zur Inszenierung muss die Auseinandersetzung mit Atmosphären insbesondere ihre kritische Analyse beinhalten, wie Böhme immer wieder betont. 

Auf das Entwerfen, Planen und Bauen übertragen, schreibt sich ein Bau wie Domenigs Ausstellungsraum in der Heft in die Landschaft ein, weil die Architektur von den Gegebenheiten ausgeht, das industrielle Erbe miteinbezieht und zugleich eine eigenständige Position entwickelt. Das postmoderne Gefüge lässt eine Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart zu und zeichnet sich durch Verknüpfungen im Inneren aus, während es – von außen betrachtet – scharfkantig in die Hügellandschaft hineinzuschneiden scheint. Der Architekt […] erzeugt […] [Atmosphären], mehr oder weniger bewußt. Die sinnlichen Items, die er setzt, die Farben, die Oberflächengestalt, die Linienführung, die Arrangements und Konstellationen, die er schafft, sind zugleich eine Physiognomie, von der eine Atmosphäre ausgeht. […] Das, was der Philosoph demgegenüber in Erinnerung zu bringen hätte, ist, daß es niemals bloß um die Gestaltung eines Gegenstandes geht, sondern immer zugleich um die Schaffung der Bedingungen seines Erscheinens.“[18] Inwiefern eine politische Absicht hinter einer solchen Setzung steht oder das Geschaffene politisch gewertet wird, führt zu einem Diskurs, der über die Architektur hinaus mit den Befindlichkeiten von Menschen verbunden ist, die sich dadurch in irgendeiner Weise berührt, mitunter auch irritiert fühlen.


Übersetzungen


Für die Schwimmhalle im Münchner Olympiapark, die anlässlich der Sommerspiele von 1972 nach Plänen des Stuttgarter Büros von Günther Behnisch erbaut wurde, haben Günther Domenig und sein Partner Eilfried Huth zwischen 1970 und 1972 ein temporäres Restaurant im Park und einen Pavillon entworfen, der eigenständig in der Schwimmhalle steht. Die spektakuläre Konstruktion wird auch in der offiziellen Dokumentation von Olympia 1972 beschrieben: Das Restaurant ist als große begehbare Plastik in den Hallenraum gestellt. Es ist in 2 Ebenen gegliedert, den Bereich für Badegäste mit Selbstbedienungstheke auf der Foyerebene und den Bereich für Gäste in Straßenkleidung, die dieses direkt von außen betreten können.“[19] Verschiedene Bereiche gehen fließend ineinander über und bilden eine Insel im ansonsten offenen Raum. 2022, 50 Jahre später, existiert der organische Einbau in ausgewählten Farben nicht mehr, obwohl er die Spiele mit seinen Funktionen überdauern sollte. Der Pavillon ist 1992 nahezu ohne Aufhebens rückgebaut und aus der Schwimmhalle unter dem Zeltdach entfernt worden, während der Olympiapark als Ensemble mittlerweile unter Denkmalschutz steht.

Das Nachdenken über Architektur kann von konkreten Orten ausgehen und Bauten seinerseits mittels Platzierungen und Platzwechseln von unterschiedlichen Standpunkten aus rational und ästhetisch vermessen. Ausgehend von den gebauten Räumen stellen sich Fragen: Was bleibt von einer Biografie? Was bleibt von einer Architektin/​einem Architekten? Was überdauert von einem Menschen? Das Biografische ist immer auch mit der Bewertung der eigenen Leistung oder der Anerkennung durch andere verknüpft. Als junger Architekt in Klagenfurt hat Günther Domenig ein privates Wohnhaus am Lendkanal entworfen, das erst nach Jahrzehnten unter Denkmalschutz gestellt wurde, weil diese Episode niemandem mehr bekannt war, der den Bau in einen Kontext setzen konnte und wollte. Auf der anderen Seite ist Günther Domenig eine prominente Figur, die über die eigene Lebenswelt hinaus gewirkt hat, vielfach ausgezeichnet wurde und als öffentliche Person nicht nur mit ihren Entwürfen vielfach Beachtung gefunden hat. 

Arbeiten des Architekten bestehen über seinen Tod hinaus weiter, sind an prominenter Stelle zu finden, werden genutzt, modifiziert, sind in ihrer Gestalt erhalten. Andere Werke sind inzwischen überwuchert, werden abgebrochen, nicht genutzt, auch weil sie eine Beschäftigung voraussetzen, die einer allzu unkomplizierten Umwidmung im Wege stehen. Bauten wie das Restaurant Nord im Münchner Olympiapark waren von vornherein nur temporär angelegt. Manche Pläne sind immer schon als Utopien zu verstehen, die nicht zwingend umgesetzt werden sollten. Medium Total“ ist von Domenig und Huth zu Beginn der 1970er Jahre als autarker Kosmos entworfen worden und als Idee in die Realisierung der Olympiabauten eingeflossen. Das Biografische hängt auch mit solchen Ketten zusammen, die es aufzuzeigen gilt, um sich dem Denken und dem Ausdruck eines Menschen zu nähern.

Physisch greifbare, begehbare Objektivationen wie Gebäude sind untrennbar mit dem Leben von Architekt:innen und Planer:innen verbunden und manifestieren in gebauter Form ein Verständnis von Welt. Was dabei implizit und explizit verhandelt wird, ändert sich von Situation zu Situation. Gebaute Orte bilden keine ästhetische Idee ab, sondern rufen selbst Atmosphären hervor, die den/​die Betrachter:in leiblich spüren lassen, worum es möglicherweise geht. An der Schnittstelle von situativem Erscheinen und sinnlichem Erleben ist, mit dem Philosophen Jürgen Hasse gesprochen, gerade auch die Erfahrung von Architektur im Prozess der Bewusstseinsbildung und für die Konstitution von – biografischem – Wissen von großer Wichtigkeit.[20] Intention und Rezeption müssen dabei nicht deckungsgleich sein. Die Architektursoziologin Heike Delitz weist ebenfalls auf das Spüren hin, das für die Wahrnehmung von gebauten Räumen eine so wesentliche Rolle spielt.[21] Die Architektur, die Günther Domenig hervorgebracht hat, ruft in verschiedenen Zuständen weiterhin Effekte hervor. Um sich mit der Biografie des Menschen und seinem Werk auseinanderzusetzen und näherungsweise fassen zu können, was den Architekten ausmacht, gilt es viele verschiedene Fäden aufzunehmen, im Archiv oder vor Ort, es gilt über Bilder und Pläne, Bekanntes und Unbekanntes, Existierendes und nicht mehr Existierendes nachzudenken und schließlich immer auch zu fühlen, was ein Bau oder Plan als Schnittstelle in einem Gewebe tatsächlich in sich trägt.




Verweise:

[1] Vgl. Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987

[2] Bettina Dausien, Bettina 2020: Biografie. In: Schinkel, Sebastian; Hösel, Fanny; Köhler, Sina-Mareen; König, Alexandra; Schilling, Elisabeth; Schreiber, Julia; Soremski, Regina; Zschach, Maren (Hg.): Zeit im Lebensverlauf. Bielefeld: Transcript 2022, S. 73 – 80. Hier: S. 78 – 79.

[3] Vgl. Dausien 2020: S. 76.

[4] Vgl. Margarete und Alexander Mitscherlich: Von der Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens. München: Piper 1977

[5] Rolf Lindner: Die Entdeckung der Stadtkultur. Soziologie aus der Erfahrung der Reportage. Frankfurt am Main, New York: Campus 2007, S. 176 – 178. Hier: 178

[6] Thomas Luckmann, Alfred Schütz:: Strukturen der Lebenswelt. Konstanz: UTB 2003, S. 32.

[7] Luckmann; Schütz 2003: S. 33.

[8] Vgl. Sylvie Aigner (Hg.): Emanzipation und Konfrontation. Band II: Architektur aus Kärnten seit 1945 und Kunst im öffentlichen Raum heute. Wien, New York: Springer 2008, S. 264

[9] Pierre Bourdieu: Praktische Vernunft: Zur Theorie des Handelns. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 82

[10] Bourdieu 1998: ebd. 

[11] Ebd.: S. 83.

[12] Ebd.

[13] Ebd.

[14] Vgl. Gernot Böhme: Atmosphäre. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, S. 34.

[15] Vgl. Getrud Lehnert: Raum und Gefühl. In: Gertrud Lehnert (Hg.): Der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung. Bielefeld: Transcript 2011, S. 9 – 25. Hier: S. 15

[16] Böhme 1995: S. 39

[17] Ebd.

[18] Ebd.: S. 97.

[19] Organisationskomitee für die Spiele der XX. Olympiade (Hg.): Die Spiele. Der offizielle Bericht. 3 Bände (2, Die Bauten). München 1972, S. 71

[20] Vgl. Jürgen Hasse: Die Aura des Einfachen. Mikrologien räumlichen Erlebens. Freiburg, München: Karl Alber 2017, S. 15.

[21] Vgl. Heike Delitz:: Architektursoziologie. Einsichten, Themen der Soziologie. Bielefeld: Transcript 2009, S. 86

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